Draußen rieselt leise der Schnee. Und drinnen tönt „Stille Nacht“ aus dem alten Transistorradio. Es riecht nach Weihrauch, Kerzenwachs und der alten Zeit, die nicht immer gut, mir aber in allerbester Erinnerung geblieben ist. Kommt ihr mit zurück an jenen Weihnachtstag, in eine fast vergessene Welt, die ab und an noch durch mein Gebälk schimmert, wenn ihr genau hinschaut.
Wunde Knie und glänzende Augen
Solange Urgroßvater Anton lebte, war Heiligabend heilig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Egal, wie viele Kinder mittlerweile da waren, wie viele Enkel und Urenkel übermütig durch die Stuben tobten: Zu Weihnachten mussten alle zusammenkommen. Komme, was wolle. Was hätte man denn sonst auch getan, so ganz allein? Überhaupt: Es brauchte jede Hand. Nicht zum Kekse essen, die wurden gehütet wie Augäpfel und wenn man Glück hatte, ergatterte man am Fest der Fest ein Vanillekipferl und einen Spitzbuben. Vielmehr hieß es: Ab auf die Knie! In den Tagen vor dem 24. Dezember ging das große Reinmachen los. Meine Dielen und Unterböden, meine Fenster und Simse und Winkel und Balken wurden auf Hochglanz gebracht. Von den Frauen des Hauses, versteht sich. Damals war es noch eine (Un)sitte, dass sich die Herren der Schöpfung aus den Festtagsvorbereitungen raushielten und derweil beim Wirt saßen und Karten spielten. Aber nicht Urgroßvater Anton, der hatte mit den „Gasthausbrüdern“ nicht allzuviel am Lodenhut und ging lieber in den Wald. Dieser Tage in besonderer Mission: Er wollte den Christbaum holen. Ein besonders prächtiger musste es sein, schließlich sollte er für all die Leute reichen, die sich abends um ihn scharen würden.
Gutes Essen, gute Gesellschaft
In jenen Tagen war der Oberraindlhof im Winter noch verschlossen für „Fremde“. Die Gäste kamen erst Jahre später, als die Gletscherbahn gebaut war und der Wintertourismus langsam Fahrt aufnahm. Und dann erst am 25. oder 26. Dezember. Denn an Heiligabend, da gehörte ich ganz allein der Familie. Zum Essen gab es, was sich gehört: Eine kräftige Fleischbrühe mit Nudeln machte den Anfang, gefolgt von Wurst und Rindfleisch. Dann kam der Braten auf den Tisch, an seiner Seite Schupfnudeln und Rotkraut, das die Großmütter schon Tage vorher zubereitet hatten. Und zum Schluss, als krönender Abschluss: die berühmte Schnolser Schneamilch. Wer sie einmal gekostet hat, weiß wohl, wie die Wolke 7 schmeckt.
Singen, Beten, Schenken
Nach dem Essen versammelte sich die ganze Schar am Christbaum. Es wurde gesungen, was die Stimmbänder hergaben, und gemeinsam der Rosenkranz gebetet. Das war wichtig! Auch Geschichten wurden ausgetauscht, von früher, von noch früher, von ganz früher. Auch Geschenke gab es. Nicht im Überfluss, aber von Herzen. Helli hütet diese Erinnerung wie einen Schatz: „Für jedes Kind gab es ein Lebkuchenherz mit seinem Namen drauf. Und irgendwann – wann genau, das weiß er heute nicht mehr – lagen unter dem Baum Skier für ihn. Skier! Man stelle sich das vor: Für einen Buben im Schnalstal gab es kaum etwas Schöneres.“
Die magische Mitternachtsmesse
Während die Familie noch unter dem Baum saß, mussten Urgroßvater Anton und Elisabeth schon vor allen anderen hinaus in die Winternacht: Die Mitternachtsmesse wartete. Anton war nicht nur Kirchgänger, sondern auch Chorleiter. Die „Wiegenmesse" wurde gesungen, Jahr für Jahr. Nach der Messe lauschten alle noch den Kirchturmbläsern, deren himmlische Klänge durch die kalte Nachtluft hallten. Zurück in der warmen Stube saßen die Hofleute dann zusammen, bis die Herzen voll und die Äuglein schwer waren.
Was ist eure schönste Weihnachtserinnerung? Teilt sie mit mir, wenn ihr mögt. Ich freue mich immer auf Post von euch.
Euer Oberraindlhof


